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Vermerke

Weblog eines Angestellten

Sternburger Pils

Der rote Plastikeimer zerplatzt an der Wand und das darin verbliebene Wischwasser färbt das was vorher schwarz war noch dunkler. Beinah wäre ich da rein getreten und ich bin mir sicher, es hätte sie amüsiert. Jetzt schaut sie nur vorwurfsvoll. Sie wird es wegwischen und dabei vorwurfsvoll schauen. Sie schaut immer vorwurfsvoll. Dabei war sie es, die das verdammte Ding mitten im Weg stehen lassen hat. Ich nehme diesen Weg seit 20 Jahren, um in der Büroecke die Einnahmen in die Kasse zu legen. 20 Jahre geben mir jedes Recht, diesen Wischeimer in die Ecke zu treten.

Vor 20 Jahren habe ich diesen Laden hier hochgezogen, eine Szenekneipe im Szenekiez. Ich wollte weg aus Frankfurt. Mit der Stadt verband sich für mich nur Ärger. Mein Vater prügelte mich durchs Abitur und in Jurastudium. Der Dekan des Fakultät war ein übler Nazi. Zumindest dachte ich das damals und schrieb es in die AStA Zeitung. Kurzzeitig machte mich dieser Artikel zum Helden aller geknechteten Jungjuristen und dann sogar zum Märtyer. Auf die VERLEUMDUNGSKLAGE folgte die Exmatrikulation. Fast euphorisch kippte ich meinen Eltern damals die Bücher ins Wohnzimmer und verschwand über Nacht in den Osten des Landes.

Doch zuerst landete ich im Westen des Ostens. Auf der anderen Seite hatten sie gerade den antifaschistischen Schutzwall überrannt und die ersten zaghaften Berührungen mit Berliner Bezirken wie Mitte oder Prenzlauer Berg endeten in tiefer Depression und Abscheu. Die Menschen dort blieben mir lange fremd.

Ich hatte alte Freunde, die klassisch nach Westberlin geflohen waren, um dem Wehrdienst zu entgehen und bei denen fühlte ich mich wohl. Nacht für Nacht und Monat für Monat verbrachte ich in poppigen Diskotheken, die Nase weiß und BANANRAMA in den Ohren. Mit dem Geld, dass meine Eltern für das Studium vorgesehen hatten, konnte ich mich quer durch die Stadt schlafen. Die Mädels ließen sich durch das Köpfen von Sektflasche mit einem KRUMMSÄBEL beeindrucken. Falscher, dekadenter Luxus sicherte mir meine sexuelle Freiheit.

Der Fußboden ist wieder trocken. Der Fleck an der Wand wird wohl bleiben und sich an die schon da gewesenen und an die noch kommenden reihen. Meine Gäste mögen das abgenutzte Ambiente. Der Fleck wird ein weiteres Original.

Sie setzt sich GNATZIG an die Bar, um die Zigarette zu rauchen, die den Abschluss der täglichen Putzaktion bildet. Ihre Hand verschwindet dabei komplett in den tiefen Locken und ihr Blick verliert sich im Raum. Ich weiß seit Jahren nicht mehr, woran sie denkt und was sie fühlt. Und wenn mir das bewusst wird, fühle ich mich wie einer dieser Anzugträger, die jeden Morgen an meiner offenen Ladentür vorbei in ihre Büros gehen.

Im November 1990 baute sie mir die Brücke in mein heutiges Leben. Die Mainzer Strasse wurde geräumt und das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Irgendwie fühlte ich mich links und ich empfand so etwas wie Solidarität mit den Verbarrikadierten. Die Hausbesetzerszene in Frankfurt und Westberlin hatte für mich immer einen unterhaltsamen Wert und die neue Bühne wurde nun im Osten eröffnet, spektakulärer als je zuvor. Meine Freunde und ich streunten während der Räumung durch das Friedrichshainer Viertel und tranken Abends Bier in einer der heruntergekommenen Kneipen. Laut gestikulierend erklärten wir uns zu Helden. Das Mädchen an der Theke viel mir sofort auf. Ihren Kopf stützte sie auf eine Hand und in der anderen hielt sie Zigarette und Bierglas. Das KAUGUMMI kauen ließ ihren Blick verächtlich erscheinen, doch in meiner grenzenlosen Arroganz hielt ich es für eine Anmache, die ich mit Lächeln beantwortet. Beim hinausgehen spuckte sie mir ins Gesicht.

Ich dachte, ich studiere das Leben. Doch der Abschluss war der Absturz. Mit dem Geld verschwanden die Frauen. Dann die Freunde. Dann die Wohnung. Klassiker. In Westberlin war alles klassisch. Die Depressionen und die Abscheu überfielen mich nun in Kreuzberg und Charlottenburg. Selbst die REGENBÖGEN der Stadt waren grau, im Frühjahr 1991.

Meinen Lebensunterhalt klaute ich mir in diversen KAUFLAND Märkten zusammen und verbrachte die Tage in den wundervollen Parks der Stadt und in billigen Kneipen. Ich kam schließlich in einem besetzen Haus im Prenzlauer Berg unter, als der Sommer zu ende ging und mein Körper anfing, gegen kalte DOSENRAVIOLI zu rebellieren.

Die Bewohner standen mitten in Verhandlungen mit dem Senat, über die Legalisierung des Hauses. Das lockige Mädchen saß unter ihnen. Sie führte das Wort des moderaten Flügels der Hausbesetzer. An die Argumente erinnere ich mich nicht mehr, aber ihre ruhige Stimme und ihre sanften Bewegungen gaben mir den Halt, den ich damals so dringend brauchte. Zu meinem Glück erkannte sie mich nicht wieder und so saßen wir Tage später auf den Dächern der Kastanienallee und schmiedeten Pläne für unsere Zukunft.

Von der Wärme blieb nichts. Von den Plänen nur diese Rockbar. Sie schraubt den Deckel auf die NAGELLACKENTFERNERFLASCHE und wird sich ins Bett legen.

Ich zünde mir eine Zigarette an und höre dem Radiosprecher zu, der die gerade laufende Frauenfußball EM zusammenfasst. Nur der Name Jennifer Cramer bleibt in meinem Kopf hängen. Sie spielt bei TURBINE POTSDAM. Jennifer war auch der Name des lockigen Mädchens.

Es ist früh am Morgen. Einer der Anzugträger lächelt in meinen Laden. Vermutlich flieht er aus seinem Heim zur Arbeit und dafür beneide ich ihn.

Kapitel I – Arbeitsweg

Die eingereichten Wörter findet ihr hier.