22/12/2013 Lass uns Freunde bleiben. Mit Extras.
Geliebtes Internet,
das Jahr 2014 wird Veränderungen mit sich bringen. Du musst jetzt stark sein, denn unsere Beziehung steht vor einer tiefen Zäsur. Mein beruflicher Fokus wird sich verschieben und Du wirst nicht mehr der absoluten Mittelpunkt meines professionellen Schaffens sein.
Wir haben jetzt eine gute Strecke unseres Lebens gemeinsam zurück gelegt. Ich erinnere mich noch an unsere erste Begegnung. Die grauen Kisten der ZEDAT haben Dich mir vorgestellt. Du selbst warst damals grauer als heute. Daheim kamst Du quietschend aus einem Modem. Über Dein damaliges Aussehen würden man heute lachen. Ich liebte Deinen spröden Charm von Anbeginn, deine Funktionalität und deine bedingungslose Hilfsbereitschaft.
Du hast mich durchs Studium gebracht. Ein Studium, das Computer gerade zur Textverarbeitung und für SPSS brauchte. Einige wenige spannen um Dich herum Theorien, die mich faszinierten. Sie sprachen von Deinem ungeheuerlichen Wissensreservoir oder von deiner demokratisierenden Wirkung. Ich verliebte mich in diese Theorien und widmete Dir einen großen Teil meiner Anstrengungen.
Ich erinnere mich auch, an unseren ersten Streit, als diejenigen Dich entdeckten, die in Dir in erster Linie ein Einkommen sahen. Sie kleisterten Dich zu mit Werbung. Sie gründeten Firmen auf wackligen Geschäftsmodellen, die nur ein Ziel hatten: verkauft zu werden. Irgendwann habe ich auch diese Seite von Dir akzeptiert und meinen Frieden damit geschlossen. Schließlich führte die Kommerzialisierung dazu, das die Zahl derer, die Dich nutzten exponentiell in die Höhe schoss. Und schlussendlich warst Du es auch, was mir ein Einkommen verschaffte.
Ich kann mit stolz behaupten, dass ich geholfen habe, Dich in einer sehr alten, sehr mitgliederstarken Partei zu verankern und zu entwickeln. Ich blicke mit stolz auf die Zeit, in der ich Dich in der Öffentlichkeitsarbeit einer obersten Bundesbehörde tiefer integrieren durfte.
Unsere Beziehung war weiß Gott nicht immer einfach. Nirgendwo tummeln sich so viele Couchtrainer, Experten und Strategen auf so engem Raum. Nirgendwo konnte und kann man so effizient blenden und so schnell Karriere machen. Der Umgang damit hat mich vieles gelehrt. Irgendwann entdeckte ich das trollen von Trollen gar als eine meiner Lieblingsbeschäftigungen.
Um meinen bisherigen Aufgabenbereich werden sich nun andere kümmern. Das kam schon häufiger vor und ich hatte nie Probleme damit, Dich peut à peut freizugeben. Doch manchmal würde ich mir wünschen, die die nachkommen setzten sich mit Dir intensiver auseinander. Ich wünschte mir, sie würden tiefer unter die Oberfläche aus Redaktionssystemen und bunten Bildern schauen. Ich wünschte, sie würden Deine Funktionsweise lernen, Deine innere Statik, Deine Einfachheit. Ich wünschte, sie würden sich ein wenig an den Utopien freuen, die in den 90er Jahren um Dich herum aufgebaut wurden. Und ich wünschte, sie würden sie mit Leidenschaft verteidigen.
Sei gewiss, allzu schlimm wird unsere Trennung nicht. Wie es in diesem Land üblich ist, werde ich im Rahmen eines Vereins weiter für Dich streiten. Und das mein hauptberuflicher Mittelpunkt nun nicht mehr in Dir liegt, heißt noch lange nicht, dass wir beruflich nichts mehr miteinander zu tun haben. Vielleicht bringt mir dieser Bruch gar etwas Freiheit zurück. Die Freiheit, die wir am Anfang unserer Beziehung lebten.
Auf ewig Dein
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