18/12/2013 Meine Filterblase ist ganz. Aber.
was mich seit 2002 immer wieder überrascht ist die krasse differenz zwischen „dem internet“ und „dem da draussen“.
— Sebastian Reichel (@ReichelS) 22. September 2013
Dem Nico seine Filterblase ist kaputt und das bei einer repräsentativen Stichprobe von 6000 Twitterern. Ich kann ihn verstehen, denn eine gewisse Empörungsmüdigkeit hat sich bei mir mittlerweile auch eingestellt.
Mich treibt aber gerade weniger die Empörungswut, als ein anderes Phänomen um:
Früher, viel früher, lange vor den Filterblasen habe ich den Schwarm im Netz immer als so etwas wie einen Seismographen für aufkommende Debatten und Stimmungen gesehen und konnte dafür auch immer Nachweise finden. Bei den Wahlen 2002 und 2005 hat das auch ganz gut funktioniert, schließlich waren die aktiven im Netz mehrheitlich rot-grün eingestellt und das gesamtgesellschaftliche Votum spiegelte das wieder. 2009 kam dann die Netzsperrendebatte und auch hier schien ein direkter Zusammenhang zwischen dem Ausgang der Wahlen und der Bewegung im Netz zu bestehen. 2013 blieb davon nichts mehr übrig. Zwischen der Stimmung in meiner Filterblase und dem tatsächlichen Geschehen lagen Welten. Zuletzt konnte ich diese Diskrepanz zum SPD Mitgliedervotum bestaunen.
Je mehr dies auffällt, umso präsenter werden mir alte Weisheiten, die ich im Zuge des Hypes der letzten Jahre etwas in den Hintergrund gedrängt habe:
- Offensichtlich bewegen sich im politischen Netz Deutschlands immer noch mehrheitlich links-libertäre Einstellungen. Das ist gut, aber nicht neu und nur eine kleiner Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
- Den Diskurs im Netz kann man dominieren und er wird von wenigen Aktiven dominiert. Nach „Außen“ konkuriert dieser Diskurs allerdings mit Journalisten, mit den Stammtischen, den Flurfunkern und Familienfeiern. Das ist so und nicht neu.
- Themen wie Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren, Geheimdienste interessieren wenige und daran ändert auch die größte Empörungswelle nichts. Auch nicht neu.
Wenn das alles nicht neu ist, was tun?
Das Internet hat mir beigebracht Empörungswellen zu surfen oder sie branden zu lassen. Es hat mich gelehrt, den Menschen in die Augen zu schauen und Selbstdarstellung von Substanz zu unterscheiden. Das Netz hat mir gezeigt, wie man aus einer breiigen Masse an Belanglosigkeit und Gebrüll durchdachte Perlen herausfiltert.
Meine Filterblase ist ganz, aber sie zu lesen und zu sortieren ist nicht immer einfach.
Tags: filterblase, filterbubble, internet, leserreporter, marketing, shitstorm, wahlkampf
- 2 comments
- Posted under Selbstreferenzielles
Permalink # Maxim Loick (@Pausanias) said
Was das Mitgliedervotum angeht: Ich glaube, dass sogar ganz viele aus meiner Filterbubble am Ende mit „ja“ gestimmt haben, dass die sich aber wenig bis gar nicht dazu bei Twitter/Facebook/inDenBlogs geäußert haben. Nach den Offline-Veranstaltungen, die ich in Bonn bei den Genoss*innen besucht habe, war mir eigentlich schon klar, dass das ganze auf eine Zustimmung hinauslaufen würde. Aber dieses Gefühl hat mir die Offlinewelt vermittelt, nicht die Onlinewelt.
Ich glaube, dass dem Wandeln zwischen diesen beiden Welten mehr Bedeutung beigemessen werden muss. Offliner sind weniger online, aber nicht doof. Wir sollten ihnen mehr zuhören – dann sind sie auch eher bereit, uns(tm) zuzuhören. Ich hatte da doch mal was… warte… *kram*… *such*… *schnüffel*… ah, da ist es ja: http://www.loick.de/blog/?p=858. Aber ich schweife ab.
Was die Empörung angeht: Ich finde, Nico hat schon recht, aber ich glaube, dass sich das über die Zeit wieder regulieren wird. Irgendwann werden die ruhigeren und durchdachten Kommentare wieder mehr Aufmerksamkeit erlangen als die schrillen. Blöd ist in der Zwischenzeit, dass die zurecht Empörten von den Selbstdarstellungsempörten schwer beschädigt werden – und das einzige, was die zurecht Empörten tun können, ist in ein Kissen zu boxen und dann wieder und wieder zu versuchen, die sachliche Ebene zu stärken. Und ich gebe Dir recht: Die Unterscheidung zwischen zurecht Empörten und Selbstdarstellungsempörten ist wohl das, was Du als das „Lesen“ der Filterblase bezeichnest.
Permalink # » Lass uns Freunde bleiben. Mit Extras. Vermerke said
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